Die Schweizer Sportschützen küren dieser Tage ihre Landesmeister in diversen Disziplinen. Nicht am Start sein wird allerdings die beste Schützin der Schweiz: Nina Christen fühlt sich nicht in der Lage für einen Wettkampf. Das schreibt die Nidwaldnerin in einem Statement, in dem sie offen über ihre momentanen Probleme spricht.
Christen begründet ihre Absenz an den nationalen Meisterschaften mit einer «post-olympischen Depression». Das sei etwas, dem viele Olympiateilnehmer im Verlauf ihrer Karriere begegnen würden.
«Bei mir äussert sich dies vor allem durch Schlaflosigkeit, eine massive Müdigkeit, einem Konzentrations- und einem Motivationsmangel», teilt die 27-jährige Olympiasiegerin mit. Sie habe starke Stimmungsschwankungen, heftige Migräne und Nackenschmerzen, «ganz zu schweigen von all den Gedanken, die dafür sorgen, dass mir ständig der Kopf dreht.»
Nach dem überwältigenden Triumph ein Fall ins Loch – so wie Nina Christen geht es auch anderen Sportlern. Gerade wer in einer Randsportart erfolgreich ist, eine Medaille gewinnt, danach überall Interviews gibt, für Fotografen posiert und zuhause bei grossen Empfängen gefeiert wird, der steht oft vor der Frage: Und was kommt jetzt? Was soll das jemals noch toppen können?
Doch eine post-olympische Depression kann auch die allergrössten Sportstars heimsuchen. Schwimmer Michael Phelps, mit sagenhaften 23 Goldmedaillen der mit Abstand erfolgreichste Olympionike der Geschichte, gewährte 2018 tiefe Einblicke in sein Inneres. «Ich bin, denke ich, nach Olympischen Spielen stets in eine schwere Depression gefallen», sagte Phelps.
Beim US-Amerikaner ging das so weit, dass er an Suizid gedacht hatte. Manchmal habe er sich für drei, vier, fünf Tage im Schlafzimmer verkrochen, nicht gegessen, kaum geschlafen. Dann habe er bemerkt, dass er Hilfe benötigte und sich in Behandlung begeben.
Christen teilte auf ihrem Instagram-Account ein Zitat von Phelps. «Ich weiss, dass ich nicht alleine bin und ich verstehe, dass es für mich okay ist, wenn es mir nicht okay geht», lautet die Botschaft des Schwimmers. Die Schweizer Schützin schliesst ihre eigene Mitteilung mit einer ganz ähnlichen Aussage: «Ich erwarte nicht, dass ich die ganze Zeit stark bin und ich habe einfach nicht das Gefühl, dass ich jetzt schon wieder schiessen kann.»
Zahlreiche Konkurrentinnen und Fans gratulierten Nina Christen umgehend dafür, wie offen sie mit den Problemen umgeht, die sie gerade beschäftigen. So bot etwa die Amerikanerin Ginny Thrasher, Luftgewehr-Olympiasiegerin 2016, ihre Hilfe an. «Sag mir Bescheid, wenn du reden möchtest», schrieb sie Christen, «du bist nicht alleine und es wird besser.» Und Martina Veloso, zweifache Goldmedaillengewinnerin an den Commonwealth Games, bedankte sich für die «kraftvolle Botschaft», die Christen mit der Welt teile. «Du verdienst eine gute Erholung. Ich sende dir ganz viel Liebe.»
Es braucht ganz schön Courage sich so zu öffnen!
Chapeau und nur das Beste für die Erholung! Ad aspera ad astra!